۲. Morphologie

 

Die Morphologie ist der Zweig der Sprachwissenschaft, der (im Gegensatz zu Phonologie) die bedeutungstragenden Elemente der Sprache behandelt.

In diesem Kapitel werden die Grundbegriffe der Morphologie vor allem mit Blick auf ihre Relevanz für die persische Grammatik erläutert.

Inhaltsverzeichnis

a. Morphem

Das Morphem ist eine Phonemfolge, die die kleinste bedeutungstragende Einheit der Sprache darstellt.

In der folgenden Äußerung zählt man z.B. 20 Morpheme:

همین نوکر هندیه که پول از جیبِ ارباب‌ش دزدید، بیرون‌ش کردند؟

Iraj Pezeshkzad (20. – 21. Jh. n. Chr.)

Morpho_01_ENDE

Morpheme werden in der Linguistik nach folgenden Merkmalsausprägungen klassifiziert:

  • Nach ihrer Fähigkeit, semantische Bedeutung aufzuweisen:
    • Lexikalische Morpheme verweisen auf reale oder fiktive Entitäten, Eigenschaften, Zustände oder Handlungen.
    • Grammatische Morpheme weisen keine eigenständige Bedeutung auf, modifizieren oder bestimmen aber die Bedeutung oder die grammatische Rolle anderer Sprachelemente.

    Demnach können die oben genannten Morpheme folgendermaßen klassifiziert werden (Gr = Grammatisches Morphem, Le = Lexikalisches Morphem):

    Morpho_02_ENDE

    Das Repertoire der lexikalischen Morpheme ist beliebig erweiterbar, das der grammatischen Morpheme ist hingegen begrenzt. Eine vollständige Liste der grammatischen Morpheme des Persischen kann im Thesaurus der vorliegenden Website aufgerufen werden.

  • Nach ihrer Eigenständigkeit:
    • Gebundene Morpheme kommen nicht frei in der Äußerung vor, können also keine Wörter darstellen, sondern begleiten andere Morpheme.

    • Alle anderen Morpheme werden als freie Morpheme bezeichnen. Dabei handelt es sich um Morpheme, die frei (als selbstständige Wörter) auftreten können.

      Daher sind /bon/ بـن in /gol-bon/ گل‌بـن, /xɒnæ/ خانه in /ʧɒj-xɒnæ/ چای‌خانه, /gun/ گون in /nil-gun/ نیل‌گون, /pæri/ پری in /pæri-ʃæb/ پریشب und /gɒh/ گاه in /dɒneʃ-gɒh/ دانشگاه freie Morpheme, weil sie im Persischen mit derselben Bedeutung auch als selbstständige Wörter vorkommen.

    Die Morpheme des oben genannten Beispiels können somit auch folgendermaßen klassifiziert werden (Ge = Gebundenes Morphem, Fr = Freies Morphem):

    Morpho_03_DE

Wie das obere Beispiel zeigt, sind diese beiden Klassifikationen nicht deckungsgleich, wobei alle möglichen Merkmalskombinationen auftauchen können: Es gibt freie und gebundene lexikalische Morpheme ebenso wie freie und gebundene grammatische Morpheme.

b. Klassifizierung der gebundenen Morpheme des Persischen

In der persischen Grammatik ist folgende Einteilung von gebundenen Morphemen zentral:

  • Verbalwurzeln ↓. Sie sind immer gebundene lexikalische Morpheme.
  • Affixe ↓. Sie sind immer gebundene grammatische Morpheme.
  • Klitika ↓. Darunter fallen sowohl lexikalische als auch grammatische Morpheme.

Die gebundenen Morpheme aus dem oberen Beispiel können folgendermaßen eingeteilt werden (VW = Verbalwurzel, Af = Affix, Kl = Klitikon):

Morpho_04_DE

b•a. Verbalwurzel

Verbalwurzeln treten im Persischen nicht (mit dieser Rolle) als freie Morpheme auf, sondern werden als Vorstufen von infiniten Verbformen mit Handlungen oder Situationen assoziiert:

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  • Aus Verbalwurzeln können durch das Anbinden von Dentalsuffixen folgende Derivate entstehen:
    1. Präteritumpartizipien mit dem Dentalsuffix /-t/ (siehe 12•۱•a.): /sɒxt/ ساخت، /sereʃt/ سرشت
    2. Infinitive mit dem Dentalsuffix /-tæn/ (siehe 12•۱•a.): /ændɒxtæn/ انداختن, /ænbɒʃtæn/ انباشتن
    3. Nomina Actionis mit dem Dentalsuffix /-tɒr/ (siehe 3•d•a•a): /gereftɒr/ گرفتار, /goftɒr/ گفتار

    Dabei ist zu beachten, dass der Konsonant /t/ in Dentalsuffixen nach stimmhaften Konsonanten sowie nach Vokalen zum stimmhaften Allophon [d] sonorisiert wird: /sorud/ سرود, /ɒkændæn/ آکندن, /kærdɒr/ کردار

    Die Auswirkung der kombinatorischen und der freien Variation auf Verbalwurzeln (im Zusammenhang mit Dentalsuffixen) wird im Kapitel 20•۱. beschrieben.

  • Verbalwurzeln können ohne strukturelle Änderung in Präsenspartizipien umgewandelt werden: /puʃ/ پوش, /tærs/ ترس, /xænd/ خند

    Dennoch entstehen durch folgende indoeuropäische Mutationsprozesse Unterschiede zwischen Verbalwurzeln und Präsenspartizipien (siehe 1•e.):

    • Apophonie (Indoeuropäischer Ablaut) (siehe 1•e•a.):

      /ʃenu//ʃenæv/ شنو

      /bæxʃu//bæxʃɒ/ بخشا

      /færsu//færsɒ/ فرسا

    • Grammatischer Wechsel nach dem Vernerschen Gesetz (siehe 1•e•b.):

      /æfrux//æfruz/ افروز

      /gomɒʃ//gomɒr/ گمار

      /bæs//bænd/ بنـد

      /ɒʃuf//ɒʃub/ آشوب

  • Aus Verbalwurzeln können durch Apophonie (Indoeuropäischen Ablaut) auch Nominalpartizipien gebildet werden (siehe 1•e•a.):

    /kær//kɒr/ کار

    /bor//bɒr/ بار


Ein vollständiges Verzeichnis persischer Verbalwurzeln steht unter Verzeichnis der Partizipien im Persischen in dieser Website zur Verfügung.

Grammatische Kategorien der Verbalwurzeln (Aktionsart und Transitivität) werden im Kapitel 13•c•a. behandelt.

b•b. Affix

Eine Sonderstellung unter den Morphemen nehmen die Affixe ein. Bei einem Affix handelt es sich um ein gebundenes grammatisches Morphem, das an einen sogenannten (morphologischen) Stamm angehängt wird, um entweder seine grammatische Kategorie zu ändern (= Flexionsaffix) oder seine semantische Bedeutung oder grammatische Rolle zu modifizieren (= Derivationsaffix).

Stämme können entweder einzelne lexikalische Morpheme oder Morphemfolgen sein, die mindestens ein lexikalisches Morphem enthalten:

  • Stamm /hend/ + Affix /-i//hendi/ هندی
  • Stamm /hendi/ + Affix /-hɒ//hendihɒ/ هندی‌ها
  • Affix /hæm-/ + Stamm /ɒhæng//hæmɒhæng/ هم‌آهنگ
  • Affix /nɒ-/ + Stamm /hæmɒhæng//nɒhæmɒhæng/ ناهم‌آهنگ

In dieser Website wird die aus dem Stamm und seinem Affix bestehende Struktur Affixalgebilde genannt.

Ein Affix und sein Stamm stehen stets in einem Wort ↓.

Affixe werden nach ihrer Position zum Stamm klassifiziert:

  • Präfixe werden dem Stamm vorangestellt, z.B. /be-/ in /bekɒr/ بکار und /hæm-/ in /hæmkɒr/ هم‌کار.

    Die meisten alt- und mittelpersischen Präfixe (wie /æ-/ in /æmordɒd/ امرداد, /ɒ-/ in /ɒræmidɒn/ آرمیدن und /pæʒ-/ in /pæʒmordæn/ پژمردن) haben ihre semantische Rolle im Neupersischen verloren und werden nicht mehr als Präfixe wahrgenommen. Scheinbar haben nur die folgenden (unproduktiven) Präfixe den Übergang zum Neupersischen überlebt:

    1. /bol-/ (= “viel”, vgl. das Griechische πολύ- = “poly-“) bildet Adjektive aus Substantiven: /bolkɒmæ/ بلکامه, /bolhævæs/ بلهوس
    2. /pɒ-/, /pɒj-/, /pɒd-/ und /pɒr-/ (= “gegen”, vgl. das Griechische παρά- = “para-“) bildet neue Substantive aus Substantiven:

      /pɒzæhr/ پازهر, /pɒjzæhr/ پایزهر, /pɒdzæhr/ پادزهر (= “Gegengift”)

      /pɒsæng/ پاسنگ, /pɒjsæng/ پایسنگ, /pɒrsæng/ پارسنگ (= “Gegengewicht auf der Waage”, siehe auch den Artikel von Dr. Ali Ashraf Sadeghi in مجلهء زبانشناسی, ۳۹. Ausgabe, Seite 1)

    Allerdings sind in dieser Sprache durch Grammatikalisierung ↓ von Adverbien und Präpositionen neue Präfixe entstanden (z.B. /næ-/ in /nægoftæ/ نگفته und /bi-/ in /bikɒr/ بی‌کار). Diese Präfixe werden im Kapitel 19. behandelt.

  • Suffixe werden an den Stamm angehängt, z.B. /-zɒr/ in /kɒrzɒr/ کارزار und /-gær/ in /kɒrgær/ کارگر. Sie stellen im Persischen die größte Gruppe der Affixe dar und werden in den Kapiteln 20. und 13•d. diskutiert.
  • Ein Zirkumfix besteht aus zwei Segmenten, die den Stamm umgeben und die Funktion eines einzigen Affixes übernehmen, wie /hæm- ~ -i/ in /hæmvelɒjati/ هم‌ولایتی und /hæmʃɒgerdi/ هم‌شاگردی oder /nɒ- ~ -i/ in /mɒdæri/ نامادری.

    Hervorzuheben ist, dass nur dann von einem Zirkumfix gesprochen wird, wenn die zwei Segmente gemeinsam eine einzige Funktion ausüben. Daher werden das Präfix /næ-/ und das Suffix /-id/ in /nevisid/ ننویسید nicht als Zirkumfix bezeichnet, da sie jeweils eine andere grammatische Kategorie des Verbs bestimmen.

    Persische Zirkumfixe werden im Kapitel 19. besprochen.

  • Interfixe verbinden zwei Stämme. Das einzige persische Interfix ist /-ɒ-/, das im Kapitel 9•b•a. untersucht wird: /sær-ɒ-pɒ/ سراپا, /jek-ɒ-jek/ یکایک.

    Bei Interfixen handelt es sich meist um grammatikalisierte ↓ Konjunktionen. Sie dürfen nicht mit Epenthesen (wie /æ/ in /mehræbɒn/ مهربان oder /i/ in /ɒgɒhɒnidæn/ آگاهانیدن) verwechselt werden. Epenthesen sind Phoneme oder Phonemfolgen, die aus phonotaktischen Gründen zwischen Morpheme eingeschaltet werden. Sie sind nicht bedeutungstragend (also keine Morpheme), so dass ihr Wegfall die Bedeutung oder die grammatische Rolle der Äußerung nicht ändert: /mehræbɒn/ /mehrbɒn/, /ɒgɒhɒnidæn/ /ɒgɒhɒndæn/

    Im Gegensatz dazu besitzen Interfixe durchaus eine semantische Rolle.

  • Infixe werden in den Stamm eingefügt, kommen im Persischen aber nicht vor.
  • Transfixe sind mehrteilige Affixe, die mit dem Stamm verzahnt werden. Transfixe kommen im Persischen nicht vor, sondern sind charakteristisch für semitische Sprachen. Die Persische Sprache kommt damit aber vor allem bei der Bildung des arabischen Plurals in Berührung:

    Arabische lexikalische Morpheme bestehen typischerweise aus drei (oder seltener vier) Konsonanten. Je nach Anzahl der Konsonanten werden diese lexikalischen Morpheme Triliterale (z.B. /skn/ س‌ک‌ن und /ʤrb/ ج‌ر‌ب) bzw. Quadriliterale (z.B. /drhm/ د‌ر‌ه‌م und /flsf/ ف‌ل‌س‌ف) genannt. Bei der Transfigierung werden die Segmente des Affixes zwischen diese Konsonanten geschaltet:

    • Stamm /skn/ + Transfix /ma-c1-aa-c2-ij-c3//masaakijn/ (im Persischen /mæsɒkin/) مساکین
    • Stamm /ʤrb/ + Transfix /ta-c1-aa-c2-ij-c3//taʤaarib/ (im Persischen /tæʤɒreb/) تجارب
    • Stamm /drhm/ + Transfix /c1-a-c2-aa-c3-i-c4//daraahim/ (im Persischen /dærɒhem/) دراهم
    • Stamm /flsf/ + Transfix /c1-a-c2-aa-c3-e-c4-a//falaasefa/ (im Persischen /fælɒsefæ/) فلاسفه

    Diese Transfixe können im 3•۱•g. Anhang: Arabische pluralisierende Transfixe beobachtet werden.

Alle persischen Affixe sind im Thesaurus der vorliegenden Website aufgelistet.

Nur der Vollständigkeit halber sei hier erwähnt, dass viele Linguisten alle Morpheme, die keine Affixe sind, als Grundmorpheme bezeichnen, ungeachtet dessen, ob sie gebunden oder frei, lexikalisch oder grammatisch sind. Auf diese Klassifizierung wird im vorliegenden Werk verzichtet.

b•c. Klitikon

Klitika stellen eine Besonderheit der proto-indoeuropäischen Sprache dar, die sich vor allem in den Griechischen und Indo-Iranischen Sprachen aufrechterhalten hat. Ein Klitikon ist ein schwach- oder unbetontes gebundenes Morphem, das sich an einen benachbarten Ausdruck anlehnt.

Klitika werden nach ihrer Position klassifiziert:

  • Proklitika lehnen sich an den folgenden Ausdruck an.
  • Enklitika lehnen sich an den vorangehenden Ausdruck an.

Es gibt sowohl lexikalische als auch grammatische Klitika:

Alle persischen Klitika sind im Thesaurus der vorliegenden Website aufgelistet.


Manche Klitika des Persischen scheinen Zwischenstufen der Grammatikalisierung zu sein. Unter Grammatikalisierung versteht man in der historischen Linguistik einen Sprachwandlungsprozess, bei dem lexikalische Morpheme schrittweise gebunden und grammatisch werden und dabei teilweise ihre morphologische und phonologische Eigenständigkeit verlieren. Das wird in der folgenden Reihe deutlich:

  1. Das archaische Suppletiv-Verb /hænd/ als freies lexikalisches Morphem, z.B. in:

    از مرد خرد بپرس!، از ایرا

    جز تو به جهان خردوران هند /hænd/

    Nasser Chosrau (11. Jh. n. Chr.)

  2. Das Suppletiv-Verb /-ænd/ als lexikalisches Klitikon, z.B. in:

    اکثرِ روستاهامان در این حـال‌ند /hɒl-ænd/.

    Jalal Al-e Ahmad (20. Jh. n. Chr.)

  3. Das verbale Flexionssuffix /-ænd/, z.B. in:

    هر روز دسته‌جمعی زن و مرد و دخترها در موستان انگور می‌چیدند /mi-ʧidænd/ و خوشه‌هایِ درخشان را در لولا یا صندوق‌هایِ چوبی می‌گذاشتند /mi-gozɒʃtænd/. بعد آن لولاها را می‌بردند /mi-bordænd/ کنارِ رودخانه.

    Sadeq Hedajat (20. Jh. n. Chr.)

Als weitere Beispiele können die pluralisierten Formen der Partitivpronomina /xæjl-i/ خیلی und /bæʔz-i/ بعضی (= /xæjl-i-hɒ/ خیلی‌ها und /bæʔz-i-hɒ/ بعضی‌ها) gelten: Der Artikel /-i/ wird von modernen Persischen Sprechern in diesen Fällen als ein Derivationssuffix aufgefasst, weshalb der Flexionssuffix /-hɒ/ dem Artikel angefügt wurde (anstatt */xæjlhɒ-i/ خیل‌هایی und */bæʔzhɒ-i/ بعض‌هایی).

c. Morph und Allomorph

Analog zur Beziehung zwischen Phonem, Phon und Allophon versteht man in der Linguistik unter Morphem eine abstrakte Klasse von eventuell mehreren Morphen, wobei die einzelnen Morphe eines Morphems als Allomorphe bezeichnet werden.

Die einfache Form der Allomorphie wird bei (sowohl lexikalischen als auch grammatischen) Morphen beobachtet, die eine gemeinsame Etymologie aufweisen, z.B.:

Allerdings können auch etymologisch nicht verwandte Morphe zu den Allomorphen eines Morphems gerechnet werden, und zwar dann, wenn sie dieselbe Funktion aufweisen. Dies ist typischerweise bei Flexionsaffixen der Fall, wenn mehrere Morphe dieselbe Modifikation der grammatischen Kategorie bewirken, z.B. die Flexionssuffixe /-ɒn/ und /-hɒ/, welche den Plural in /deræxtɒn/ درختان und /deræxthɒ/ درخت‌ها anzeigen.

d. Nullallomorph und Nullmorphem

Eine besondere Form von Allomorphen eines Morphems stellt das Nullallomorph dar. Dabei handelt sich um ein Allomorph, das kein Phon aufweist, aber trotzdem eine grammatische Rolle innehat. Das Zeichen für das Nullallomorph ist /Ø/.

In den folgenden Beispielen können die Allomorphe [-æʃ], [-ɒ] und [-Ø] als Präteritum-Flexionssuffixe in 3. Person Singular betrachtet werden:

گران‌مایه دستور گفتش /goftæʃ/ به شاه:

«نبایدت رفتن به آن رزم‌گاه»

Firdausi (10. – 11. Jh. n. Chr.)

گفتم: «گره نگشوده‌ام زآن طرّه تا من بوده‌ام»

گفتا /goftɒ/: «منَ‌ش فرموده‌ام تا با تو طرّاری کند»

Hafes (14. Jh. n. Chr.)

پرس‌پرسان می‌کشیدش تا به صدر

گفت /goftØ/: «گنجی یافتم آخر به صبر»

Rumi (13. Jh. n. Chr.)

Ein Morphem, dessen einziges Allomorph ein Nullallomorph ist, wird als Nullmorphem bezeichnet. Im Persischen kann man als Beispiel für ein Nullmorphem das Imperativ-Flexionssuffix in 2. Person Singular anführen:

بخور /boxorØ/ تا توانی به بازویِ خویش!

که سَعیَ‌ت بود در ترازویِ خویش

Saadi (12. – 13. Jh. n. Chr.)

e. Wort und Lemma

Wörter lassen sich nach phonologischen Kriterien als Morpheme oder Morphemfolgen definieren, die durch Grenzsignale wie zum Beispiel Pausen voneinander getrennt werden.

Im oben angeführten Beispiel kann man elf Wörter unterscheiden:

Morpho_05_ENDE

Wie dieses Beispiel zeigt, sind Wörter aber nicht mit funktionalen Einheiten zu verwechseln: So finden sich zum Beispiel Klitika als funktionale Einheiten gemeinsam mit anderen Einheiten in einem Wort. Neben der Grammatikalisierung zu Klitika führen aber noch weitere historische Prozesse zur Verschmelzung von ehemals selbstständigen funktionalen Einheiten zu Wörtern. Meist geschieht dies dadurch, dass die ursprüngliche semantische Differenzierung der Einheiten in Vergessenheit gerät. Beispielsweise:

  • Die archaische Phrase ↓ /ɒs-i ɒb/ آسی آب (= “Wassermühle”, mit der enklitischen Konjunktion /-i/) hat sich in modernen Idiomen des Persischen nicht zu der Phrase /ɒs-e ɒb/ آسِ آب weiterentwickelt: Sie wird als ein Wort verstanden und ausgesprochen (/ɒs-i-ɒb/ آسیاب). Dabei ist den meisten Sprechern die ursprünglichen Bedeutung des Morphems /ɒs/ آس (= “Mühle”) nicht bewusst, so dass neue Phrasen wie /ɒs-i-ɒb-e bɒdi/ آسیابِ بادی (= “Windmühle”), /ɒs-i-ɒb-e dæsti/ آسیابِ دستی (= “Handmühle”) und sogar /ɒs-i-ɒb-e ɒbi/ آسیابِ آبی (= “Wassermühle”) gebildet und verwendet werden.
  • Im Satz سربه‌سرش گذاشته‌اند wird der Ausdruck /sær-be-sær-æʃ/ سربه‌سرش von Sprechern als ein Wort aufgefasst, obwohl er sogar aus zwei Satzkonstituenten (/sær/ سر als direktes Objekt und /be sær-æʃ/ به سرش als Direktivadverbial) besteht.

Lexikographische Wortformen, die Einträge in Nachschlagewerke darstellen, werden Lemmata genannt. Im oben angeführten Beispiel entsprechen den Wörtern folgende Lemmata:

Morpho_06_DE

Wie man sieht, stellen Infinitive Lemmata von Verben dar.

Außerdem müssen sämtliche Flexionsaffixe aus dem Wort entfernt werden, um das Lemma zu erreichen:

/ʃælvɒrhɒ/ شلوارها/ʃælvɒr/ شلوار

/zibɒtærin/ زیباترین/zibɒ/ زیبا

f. Phrase

Phrase bezeichnet in der Grammatik eine Morphemfolge, die eine einheitliche syntaktische Funktion erfüllt. Eine Phrase kann aus einer oder aus mehreren direkten Konstituenten bestehen. Phrasen werden folgendermaßen klassifiziert:

  • Nominalphrasen (Kategorialsymbol: NP) beziehen sich auf (reelle oder fiktive) Entitäten und weisen die grammatischen Kategorien von Substantiven auf (insbesondere den Numerus). Nominalphrasen können einfach aufgebaut sein oder aus mehreren Konstituenten bestehen:

    باد /bɒd/، دریایِ سیاه /dærjɒ-je siɒh/، اراده‌ای آهنین /erɒde-i ɒhænin/، چنین کسی /ʧon in kæs-i/، دکترایِ زمین‌شناسی از دانشگاهِ تبریز /doktorɒj-e zæmin-ʃenɒsi æz dɒneʃ-gɒh-e tæbriz/

    Es gibt durchaus Nominalphrasen, die kein Substantiv enthalten:

    کوشش /kuʃeʃ/، ناپاکی /nɒpɒki/

    Von Substantivierung spricht man, wenn die einzige Konstituente einer Nominalphrase eine Adjektivphrase ↓, eine Determinativphrase ↓ oder eine infinite Verbform ist:

    کلان‌تر /kælɒntær/، گرم‌کن /gærm-kon/، همان /hæm-ɒn/، این /in/، گذشت /gozæʃt/، سوز /suz/

    Die grammatischen Aspekte der Nominalphrasen werden im Kapitel 3. behandelt.

  • Adjektivphrasen (Kategorialsymbol: AP) beziehen sich nicht auf ganze Entitäten, sondern auf Eigenschaften, die Entitäten aufweisen können. Sie zeigen die grammatischen Kategorien von Adjektiven, vor allem die Kategorie Komparation. Auch Adjektivphrasen können einfach oder zusammengesetzt sein:

    ترش /torʃ/، بلندترین /bolændtærin/، بزرگ‌تر از من /bozorgtær az mæn/، بسیار خاطره‌برانگیز /besjɒr xɒtere-bær-ængiz/

    Auch unter Adjektivphrasen findet man Beispiele, die kein Adjektiv enthalten:

    خانگی /xɒnægi/، دریادل /dærjɒ-del/

    Analog zur Substantivierung spricht man von Adjektivierung, wenn eine Nominalphrase oder eine infinite Verbform die einzige Konstituente einer Adjektivphrase ist: /neʃæstæ/ نشسته, /ʃenɒs/ شنـاس

    Die Adjektivierung von Nominalphrasen kommt im Persischen viel seltener vor als die Substantivierung von Adjektivphrasen. Sie ist dann anzutreffen, wenn auf eine bestimmte Eigenschaft der Entität abgehoben werden soll, auf die sich die Nominalphrase bezieht. Folgendes Beispiel kann man zur Verdeutlichung anführen:

    سویِ خردمند زِ خر خرترست

    هر که مر او را به ستوری رضاست

    Nasser Chosrau (11. Jh. n. Chr.)

    Die Nominalphrase /xær/ خر (= “Esel”) wird in diesem Fall durch die Reduzierung auf die Eigenschaft “dumm” als Adjektivphrase verwendet und ist sogar durch das Flexionssuffix /-tær/ in den Komparativ /xærtær/ خرتر (= “dümmer”) umgewandelt worden.

  • Eine Determinativphrase (Kategorialsymbol: DetP) kommt in der Regel als Konstituente in Nominal- und Adjektivphrasen vor, um die Identifizierbarkeit oder die Quantität einer Entität bzw. Eigenschaft zu bestimmen. Im Gegensatz zu Adjektivphrasen weisen Determinativphrasen keine Kategorie Komparation auf (sie können sich nicht steigern). Im Persischen gibt es sowohl einfache (z. B. der Artikel /-i/ in /xɒnæ-i/ خانه‌ای oder das Demonstrativpronomen /ɒn/ in /ɒn zæmɒn/ آن زمان) als auch zusammengesetzte Determinativphrasen (z. B. das Qualifikativpronomen /ʧon in/ in /ʧon in kæs-i/ چنین کسی oder das Elativpronomen /hær ʧe/ in /hær ʧe biʃtær/ هر چه بیشتر).

    Die Konstituente, die Determinativphrase begleitet, wird in dieser Website als Determinativfokus bezeichnet, wie /xɒnæ/ خانه, /zæmɒn/ زمان, /kæs-i/ کسی und /biʃtær/ بیشتر in den oberen Beispielen.

    Die Ausdrücke “Determinativphrase” und “Determinativfokus” fehlen bisher in den allgemein anerkannten Phrasenmodellen und werden auf dieser Website neu eingeführt. Determinativphrasen dürfen nicht mit Determinansphrasen (Kategorialsymbol: DP) verwechselt werden. Dabei handelt es sich um (meistens Nominal- oder Adjektiv-) Phrasen, die eine Determinativphrase beinhalten, wie die oben angeführten Beispiele /xɒnæ-i/ خانه‌ای, /ɒn zæmɒn/ آن زمان, /ʧon in kæs-i/ چنین کسی und /hær ʧe biʃtær/ هر چه بیشتر zeigen.

    Wenn die Determinativphrase ein Zählnumerale oder ein Pronomen ist, begegnet man häufig dem Phänomen, dass der Determinativfokus getilgt wurde. Die Determinativphrase tritt in diesem Fall substantiviert auf, da sie die einzige Konstituente der Determinansphrase ist.

    Diese Tilgung kann in folgenden Fällen beobachtet werden:

    • Proximate Redundanz: Wenn die Entität, auf die sich der Determinativfokus bezieht, gerade erwähnt wurde:

      او سه پسر دارد. هر سه [NP[DetP/se/]] (= هر سه پسر [NP[DetP/se/] [NP/pesær/]]) دانش‌جو هستند.

      من دیروز کتابی خریدم. امروز نمی‌توانم آن [NP[DetP/ɒn/]] (= آن کتاب [NP[DetP/ɒn/] [NP/ketɒb/]]) را پیدا کنم.

    • Obviative Redundanz: Wenn die Entität, auf die sich der Determinativfokus bezieht, zwar gerade nicht erwähnt wurde, der Angesprochene aber dennoch weiß, um was es geht, oder wenn seine Aufmerksamkeit mit der Äußerung gerade darauf gelenkt werden soll:

      دو تا [NP[DetP/do tɒ/]] (= دو تا انسان [NP[DetP/do tɒ/] [NP/ensɒn/]]) داشتند در باره‌یِ بچّگی‌شان با هم گپ می‌زدند.

      این [NP[DetP/in/]] (= این چیز [NP[DetP/in/] [NP/ʧiz/]]) را ببین!

    Selten trifft man auf das Phänomen der Determinativierung, z.B. beim Einsatz der Adpositionalphrase /ʧon in/ چنین als Determinativphrase (siehe 7•۱۳.): /ʧon in ʃæb-i/ چنین شبی

  • Adpositionalphrasen (Kategorialsymbol: PP) bestehen aus zwei Konstituenten: einer Adposition und ihrem Adpositionalfokus (meistens einer Nominalphrase):

    تا کنون /tɒ konun/، برادرِ بزرگترش را /bærɒdær-e bozorgtær-æʃ rɒ/، مر شما را /mær ʃomɒ rɒ/

  • Adverbphrasen (Kategorialsymbol: AdvP) kommen im Persischen relativ selten vor. Es handelt sich entweder um einfache (wie /idun/ ایدون) oder zusammengesetzte Adverbien (wie /hæm-æknun/ هم‌اکنون).
  • Eine Verbalphrase (Kategorialsymbol: VP) weist auf einen Vorgang oder Zustand in einer bestimmten Zeit hin. Sie besteht aus einem Verb oder aus mehreren Verben, die sich auf eine einzige Tätigkeit oder ein einziges Geschehen beziehen:

    رفتم /ræftæm/، نوشته بودی /neveʃte budi/، داشتند می‌پوشیدند /dɒʃtænd mi-puʃidænd/

  • Flexionsphrasen (Kategorialsymbol: IP) stellen einfache Sätze oder komplexe Satzgefüge dar.

g. Phrasenstrukturmodelle

 

Zur Veranschaulichung der morphologischen Struktur einer Aussage werden folgende Modelle verwendet:

  1. Das hierarchaische Einzugsmodell hat den Vorteil, dass die Aussage bis zur Ebene ihrer einzelner Morpheme dargestellt wird:

    • Flexionsphrase /hæm-in nævkær hendi-e ke pul æz ʤib-e ærbɒb-æʃ dozdid, birun-æʃ kærdænd?/:
      • Nominalphrase /hæm-in nævkær hendi-e ke pul æz ʤib-e ærbɒb-æʃ dozdid/:
        • Nominalphrase /hæm-in nævkær hendi-e/:
          • Determinativphrase /hæm-in/:
            • Determinans /hæm-/: Proklitisches Intensivpronomen.
            • Determinans /in/: Demonstrativpronomen.
          • Nominalphrase /nævkær hendi-e/:
            • Nominalphrase /nævkær hendi/: Qualitativgenitivphrase (ursprünglich /nævkær-e hendi/. Die enklitische Konjunktion /-e/ wird bei Anhängen des enklitischen Artikels /-e/ getilgt. Siehe 10•۱•b.):
              • Nominalphrase /nævkær/: Substantiv.
              • Adjektivphrase /hendi/:
                • Nominalphrase /hend/: Substantiv.
                • Affix /-i/: Derivationssuffix.
            • Determinans /-e/: Enklitischer Artikel.
        • Konjunktion /ke/.
        • Flexionsphrase /pul æz ʤib-e ærbɒb-æʃ dozdid/:
          • Nominalphrase /pul/: Substantiv.
          • Adpositionalphrase /æz ʤib-e ærbɒb-æʃ/:
            • Präposition /æz/.
            • Nominalphrase /ʤib-e ærbɒb-æʃ/: Possessivgenitivphrase:
              • Nominalphrase /ʤib/: Substantiv.
              • Enklitische Konjunktion /-e/.
              • Nominalphrase /ærbɒb-æʃ/: Asyndetische Possessivgenitivphrase:
                • Nominalphrase /ærbɒb/: Substantiv (arabische Affixalgebilde werden im Persischen normalerweise morphologisch nicht tiefer analysiert).
                • Nominalphrase /-æʃ/: Enklitisches Substantiv.
          • Verbalphrase /dozdid/: Indikativ Präteritum Perfektiv:
            • Präteritumpartizip /dozdid/:
              • Präsenspartizip /dozd/.
              • Affix /-id/: Aufgebaut durch den Einsatz der Epenthese /i/ (siehe 1•d•a.) mit dem Affix [-d] (dem assimilierten Allophon des Derivationssuffixes /-t/ nach dem Vokal /i/, siehe 20•۱.).
            • Affix /-Ø/: Nullallomorph als Präteritum-Flexionssuffix (3. Person Singular).
      • Nominalphrase /birun/: Substantiv (ursprünglich Adpositionalphrase /be birun/).
      • Nominalphrase /-æʃ/: Enklitisches Substantiv
      • Verbalphrase /kærdænd/: Indikativ Präteritum Perfektiv:
        • Präteritumpartizip /kærd/:
          • Verbalwurzel /kær-/.
          • Affix [-d]: Assimiliertes Allophon des Derivationssuffixes /-t/ nach dem stimmhaften Konsonanten /r/ (siehe 20•۱.).
        • Affix /-ænd/: Präteritum-Flexionssuffix (3. Person Plural).
  2. Das Klammermodell ist zwar kompakter, dafür könnte es aber schwierig werden, auf Anhieb die richtigen Klammerpaare zu finden. Dabei befasst sich die morphologische Analyse normalerweise nicht mit der inneren Struktur der Affixalgebilde:

    • [IP [NP [NP [DetP [Dhæm-] [Din]] [NP [NP [Nnævkær] [Ahendi]] [D-e]]] [Conke] [IP [Npul] [PP [Pæz] [NP [Nʤib] [Con-e] [NP [Nærbɒb] [N-æʃ]]]] [Vdozdid]]] [Nbirun] [N-æʃ] [Vkærdænd]]

  3. Die morphologische Analyse nach dem Baummodell ist verständlicher. Auch dabei werden Affixalgebilde normalerweise nicht tiefer analysiert:

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